Ein Freund von mir beschloß eines Tages, ein Loch ins Meer zu bohren.
Er dachte sich das so: Man fährt los, kommt ans Meer, macht dort das Loch, das man braucht, und reist wieder zurück. Eine ganz klare und einfache Sache.
Für meinen Freund waren die meisten Dinge in dieser Welt klar und einfach.
Manche waren es anfangs nicht, aber sobald er sie mit seinen guten und klugen Augen ansah, wurden die Dinge brav und sogar mit Freuden klar und einfach.
Aber als mein Freund beschlossen hatte, ein Loch ins Meer zu bohren, fanden sich Leute, die sagten, er sei verrückt. Ein Loch ins Meer zu bohren sei eine Verrücktheit.
„Warum?“ fragte sie mein Freund. „Haben Sie es ’mal getan?“
Es stellte sich heraus, dass sie es nicht getan hatten.
„Woher, wissen Sie dann, dass es eine Verrücktheit ist?“
Alle Leute sagten so.
„Und haben die ein Loch ins Meer gebohrt?“
Es stellte sich heraus, dass auch sie es nicht getan hatten.
„Haben sie es wenigstens versucht?“
Es stellte sich heraus, dass sie es auch nicht versucht hatten.
Da entschuldigte sich mein Freund und fragte, wieso dann er verrückt wäre und nicht die anderen. Und überhaupt, warum sie die Menschen mit allerlei Reden und Maximen daran hinderten, das zu tun, was sie sich vorgenommen hätten. Er wäre entschlossen, ein Loch ins Meer zu bohren, und würde es auch tun. Außerdem hätte er nicht viel Zeit – er brauche das Loch jetzt.
Er verabschiedete sich von den Leuten, die sagten, er wäre verrückt, nahm sein Werkzeug und fuhr ans Meer.
Bevor er abreiste, verabschiedete er sich auch von seiner Frau. Sie sagte, dass die anderen Leute in geordneten Verhältnissen lebten, jetzt mit ihren Wagen kreuz und quer durch Bulgarien reisten und sich des Lebens freuten, während er ein Loch ins Meer bohren wolle. Er denke sich immer etwas aus, und solange er es nicht getan habe, gäbe er keine Ruhe.
Mein Freund sah sie mit seinen guten und klugen Augen an, aber sie wurde nicht klar und einfach, wie die meisten Dinge, sondern blieb dieselbe. Da sagte er ihr „Auf Wiedersehen“ und stieg in den Zug.
Im Zug knüpften sich, wie das so üblich ist, Gespräche an – zuerst über das Wetter, dann über die Fußballspiele, schließlich über die Außenpolitik. Zuletzt begannen die Leute im Abteil zu erzählen, zu welchem Zweck sie reisten. Es zeigte sich, dass alle dienstlich unterwegs waren.
„ln welcher Angelegenheit reisen Sie denn?“ fragten sie meinen Freund.
„Ich will ein Loch ins Meer bohren“, antwortete er.
„Also nicht dienstlich“, sagten sie und lachten. „Wohl ein bißchen auf Besuch?“
„Wieso?“ erwiderte mein Freund. „Ich sage Ihnen doch, dass ich ein Loch ins Meer bohren will.“
„Meinen Sie das ernst?“, fragten die Leute.
„Warum nicht?“, sagte mein Freund. „Natürlich meine ich’s ernst. Da ist mein Werkzeug!“
„Und Sie wollen ein Loch ins Meer bohren?!?“
„Genau das habe ich vor!“, entgegnete mein Freund. „Ich will diese Arbeit erledigen, ehe es zu spät ist. Ich brauche es jetzt.“
„Sie brauchen es also jetzt?“ fragten die Leute.
„Ja, jetzt!“
Die Reisenden sahen sich an und zwinkerten sich zu.
„Wird das Loch sehr groß sein?“ interessierten sie sich.
„So groß, wie ich es brauche“, erwiderte er. „Ich weiß, wie groß es sein muß.“
Da begannen die Reisenden, meinen Freund sehr aufmerksam zu betrachten und verließen einer nach dem anderen das Abteil, um eine Zigarette zu rauchen.
Etwas später betraten drei Personen mit dem Zugführer an der Spitze das Abteil. Meinem Freund fiel der Körperbau der drei auf. Sie erfreuten sich offensichtlich der besten Gesundheit und strotzten vor Kraft.
„Früher wurden solche wie Sie für die Garde ausgesucht“, sagte er zu ihnen.
Sie stimmten ihm sofort zu und fragten ihn, ob er in der Garde gedient hätte.
„Ich war zu klein“, sagte er. „Damals ging ich noch zur Schule.“
Dem stimmten sie wieder sofort zu und fragten, ob die Plätze frei seien.
„Es waren ein paar Leute hier“, antwortete er. „Aber ob sie bald wiederkommen, kann ich nicht sagen. Sie gingen in den Gang, um eine Zigarette zu rauchen.“
Die Drei erklärten, die Leute wären an der letzten Station ausgestiegen, was meinem Freund ziemlich sonderbar vorkam, weil ihr Gepäck noch im Abteil war.
„Dann haben sie ihr Gepäck vergessen“, bemerkte mein Freund. „Höchst zerstreute Menschen.“
Die anderen fragten, ob sie Platz nehmen könnten. Sie könnten, sagte mein Freund, und hoffentlich sei es zum Guten. Die Drei erblaßten etwas und erkundigten sich was er damit meine.
„Ich scherze“, antwortete er. „So sagte man früher, als die Menschen abergläubisch waren.“
Die Drei beruhigten sich sichtlich und fragten ihn, zu welchem Zweck er reise, falls es kein Geheimnis sei.
„Ich will ein Loch ins Meer bohren.“
„Ins Meer?!?“
„Ins Meer“, sagte mein Freund.
„Haben Sie denn Werkzeug dafür?“ fragten sie wieder.
„Da in der Ecke ist es“, erwiderte mein Freund.
„Gutes Werkzeug!“ sagten die anderen. „Wieviel Zeit werden Sie dazu brauchen?“
„Ich werde zusehen, dass es schnellstens geht. Ich brauche das Loch jetzt.“
Da sah einer auf seine Uhr und sagte mit unnatürlicher Stimme:
„Es ist vier Uhr!“
Obwohl es schon acht war.
Gleichzeitig stürzten sich alle auf meinen Freund, bogen ihm die Arme nach hinten, banden ihn und forderten ihn auf, ins Abteil des Zugführers mitzukommen.
Am nächsten Bahnhof setzten sie ihn aus dem Zug und schickten ihn nach Sofia zurück zur Untersuchung.
Dort wiederholte sich die Geschichte.
„Also ins Meer?“ fragte der Arzt.
„Ins Meer!“ erwiderte mein Freund ruhig, blickte den Arzt mit seinen guten Augen an und wunderte sich, warum sich jeder wunderte, dem er das sagte.
„Ein Loch?“ fragte der Arzt.
„Ein Loch“, antwortete mein Freund.
Der Arzt fragte ihn noch, wer er sei und ob er nicht zufällig John Gerstenkorn. Nebukadnezar, Kleopatra oder der ägyptische Pharao Ramses III. wäre.
„Sie sind wohl verrückt?“ sagte mein Freund. „Was reden Sie da von einem Pharao? Sehen Sie nicht, was in meinem Paß steht?“
Da waren die Leute von der psychiatrischen Abteilung gekränkt und sagten, nicht sie, sondern er wäre verrückt.
„Warum?“ fragte mein Freund. „Weil ich ein Loch ins Meer bohren will? Und Sie? Haben Sie es jemals gewollt?“
„Nein!“ antworteten die Leute.
„Und warum bin ich dann verrückt, und nicht Sie?“
„Weil es eine Verrücktheit ist, ein Loch ins Meer zu bohren. So etwas ist unmöglich!“
Mein Freund fragte sie, ob sie einmal versucht hätten, ein Loch ins Meer zu bohren. Oder etwas zu tun, von dem man weiß, dass es eine Verrücktheit und unmöglich ist. Sie antworteten ihm, dass sie es nicht versucht hätten, und dass sie nicht verrückt seien, obwohl sie im Irrenhaus arbeiteten.
„Aber haben Sie niemals, niemals so etwas versucht?“ fragte er sie.
„Niemals, niemals!“ antworteten sie.
Mein Freund bedauerte sie, und sie bedauerten ihn, er dachte, dass diese Menschen sehr unglücklich wären, und sie dachten, dass er sehr unglücklich wäre, er war bestrebt, ihr Unglück zu lindern, und sie waren bestrebt, sein Unglück zu lindern.
Schließlich nahm mein Freund seinWerkzeug, verabschiedete sich von den Leuten und ging. Ich erinnere mich, dass er direkt zu mir kam und mir die ganze Geschichte erzählte.
Sie verhinderten, dass mein Freund ein Loch ins Meer bohrte. Diese Menschen, die niemals den Wunsch gehabt hatten, etwas zu tun, von dem man weiß, dass es unmöglich und eine Verrücktheit ist.
Aber mein Freund machte das Loch. Er nahm sein Werkzeug, fuhr ans Meer und tat es. Er hat es nur mir gesagt, weil er bereits weiß, wie die Menschen sind. Und weil wir uns gut kennen.
Und jetzt hat das Meer ein Loch. Das Loch ist da, und die Menschheit erklärt die, die sagen, dass sie ein Loch ins Meer bohren wollen, immer noch für verrückt.
Die Menschheit mag sie für verrückt erklären, ich aber weiß, dass die anderen Planeten als erste Verrückte betreten werden. Sie werden auf ihrer Oberfläche und in ihren Kratern umherspazieren, werden der Sonne ins Gesicht blicken und mit den dortigen Einwohnern sprechen, die seltsam und vielleicht verrückt sein werden.
Und dann werden sie ihr Werkzeug nehmen und sich aufmachen, um Löcher in die Meere ferner Galaxien zu bohren.