Die einsamen Windmühlen

Der Sommer ging zu Ende. Es war August, und meine Mutter rollte Nudel­teig aus. Als sie damit fertig war, brachte sie ihn hinaus, breitete auf dem Hof ein Bettlaken aus und legte den Teig in die Sonne, damit er trockne.

Die gelben Teigblätter glänzten im Licht, saugten die Sonne auf und began­nen langsam, sich zusammenzurollen und zu zerplatzen.

Der Teig trocknete, und ich stand unter dem Kirschbaum, hielt eine lange Stange in den Händen und hütete den Teig vor den Katzen und Vögeln.

Vögel und Katzen haben Nudelteig sehr gern. Sie warteten nur darauf, dass ich wegschauen würde.

Meine Mutter ging auf den Markt, Einkäufe machen, und befahl mir, auf den Nudelteig aufzupassen. Sonst würde ich nie ein großer Mann werden, sagte sie. Alle großen Männer sind immer sehr aufmerksam.

„Haben denn alle großen Männer Nudeln hüten müssen?“ fragte ich misstrauisch.

„Die ganz berühmten schon“, erwiderte meine Mutter.

„Und die drei Musketiere?“ bohrte ich nach.

„Die allemal!“ antwortete ganz ernst meine Mutter. Und fort ging sie.

Als ich so dastand, um die Vögel abzuschrecken, ging draußen auf der Straße Atanas, der Verrückte, vorbei. Er watschelte wie eine Ente, schwenkte seinen Korb und schaute mit weit aufgerissenen Augen in die Welt. Atanas schaut sehr gern. Er bleibt zum Beispiel vor einer Blume ste­hen und beginnt, sie zu betrachten. Er schaut und schaut. Unsereiner wäre an seiner Stelle schon 300-mal weitergegangen, aber er steht und schaut. Während er die Blume anschaut, kommt ein Schmetterling, umkreist die Blume, ein-, zweimal und landet.

Atanas schaut die Blume und den Schmetterling an. Er schaut so ruhig und langsam, ohne die geringste Eile. Die Schmetterlinge haben keine Angst vor ihm, sie setzen sich unter seine Nase, wenn es sein muss. Atanas berührt nie die Schmetterlinge und die Blumen, die er anschaut.

„Atanas!“ rief ich ihm zu, „ei, Atanas, was macht die Königin Klara?“

„Sie klaut Klarinetten!“ antwortete Atanas, „König Karl und Königin Klara klauen Klarinetten!“

Solche Sachen lernt er von einem Studenten, der in ihrem Haus zur Unter­miete wohnt.

Der Student wollte ihm noch ganz andere Sachen beibringen, aber Atanas behielt nur diese, weil sie ihm gefielen.

„Wohin gehst du, Atanas?“ fragte ich ihn.

„Zur Königin.“

„Ist sie in Gefahr?“

Atanas winkte mit der Hand, lachte und ging weiter die Straße entlang.

Hinter mir wieherten Pferde. Sie stampften mit ihren Hufen und wühlten die Erde auf.

Der Boden zitterte vor Ungeduld. Wunderbar jung waren die grünen Blätter des Kirschbaums, aber ich stand da und musste den Nudel­teig bewachen.

„Zum Teufel mit dem Nudelteig!“ rief ich und warf mich auf das Pferd.

Es schlug hinten aus, wieherte schrill und flog davon zur Burg der Königin.

„Halten Sie aus, Madame“, schrie ich, „gleich bin ich zur Stelle.“

Die Pferdehufe knickten Margeriten und Gras, Kornblumen und Fuchs­schwanz. Die Mähne des Pferdes flatterte. Der Wind pfiff mir um die Ohren. Aus dem nahen Wald schossen plötzlich Reiter des Kardinals her­vor und kamen mir entgegen.

„Meine Herren!“ rief ich, „ob Sie wirklich Herren sind, steht auf einem anderen Blatt, aber damit wollen wir jetzt keine Zeit verlieren. Hier mein Handschuh. Verteidigen Sie sich.“

Mein Spitzenhandschuh sauste durch die Luft und traf eines der Pferde am Ohr. Erschrocken stieg es hoch und warf seinen Reiter ab.

Die anderen Reiter umringten mich.

Degen glänzten in der Sonne. Sporen klirrten. In den Augen der Leute des Kardinals glomm Angst auf.

„Einer nach dem anderen, meine Herren“, rief ich, und der Degen zuckte wie ein Blitz, „jeder bekommt sein Teil. Seien Sie dessen gewiss.“

Die Kreaturen des Kardinals flüchteten durch gemähte Felder zum Fluss. Ich aber gab meinem Pferd die Sporen und ritt zu der Burg, die sich auf dem Hügel erhob. Vor dem Tor brach das Pferd schaumbedeckt zusam­men. Ich stieg aus dem Sattel und eilte mit gezogenem Degen die Treppe hinauf. Erschrockene Diener sanken auf die Knie.

„Madame, Sie sind frei!“ rief ich. Die Königin, die unter dem gotischen Fensterbogen stand, weinte vor Freude.

„Madame, Sie sind frei!“ rief noch eine Stimme. Es war Atanas, der Ver­rückte.

Die Königin blickte auf. Ich drehte mich um und sah Atanas neben mir.

„Augenblick, Madame“, sagte ich schuldbewusst, „Moment, sonst sind die Nudeln verloren.“

Die Königin schaute entgeistert drein.

Die Hühner stolzierten über den Teig und pickten eifrig. Ich verjagte sie und sagte dann zu Atanas: „Um die Nudeln hättest du dich wenigstens kümmern können. Die Königin habe ich auch ohne dich befreit.“

„Madame, Sie sind frei“, sagte Atanas freudig, „ich gebe Ihnen mein Ehren­wort!“

Es war zu merken, dass ihm diese Worte gefielen. Er spielte gern mit uns, obgleich er viel älter war.

Aber vielleicht stimmte das gar nicht. Er war älter, wenn man nach dem Geburtsregister ging. Sonst war er alterslos, die Zeit verging, ohne dass er sich veränderte. Als ob ihn die Zeit nicht bemerke, oder als ob sie und er enge Freunde seien.

Sein Wuchs änderte sich nicht, sein Gesicht hatte keine Falten, seine Augen glänzten immer noch wie die eines Jungen.

„Die Königin ist frei, Atanas“, sagte ich, „aber die Nudeln sind verloren. Schau mal, was die Hennen alles aufgepickt haben.“

„Die Königin ist frei!“ wiederholte Atanas glücklich.

„Guten Tag, Atanas!“ sagte meine Mutter, die, ohne dass ich es gemerkt hatte, vom Markt zurückgekommen war, „von was für einer Königin ist die Rede? Von Klara, der, die immer Klarinetten klaut?“

„Die Königin ist frei“, lachte Atanas, „ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.“

„Aha“, sagte meine Mutter verständnisvoll, „mein Sohn reitet wieder irgendwo umher, statt auf den Nudelteig aufzupassen.“

„Ich…!“

„Und die Hennen haben den Nudelteig verspeist, als er die Königin be­freite.“

„Ich war nur ganz kurz…“

„Ja, die Burg war in der Nähe. Nur zwei Schritt…“

Ich senkte den Kopf und machte ein Gesicht, das ausdrücken sollte, wie sehr ich alles bedauerte.

„Im Winter, wenn wir keine Nudeln mehr haben, wirst du gewiss zur Köni­gin reiten und sie bitten, uns fünf oder sechs Kilo zu geben?“ sagte meine Mutter, „wo doch die Burg ganz nahe ist…!“

Atanas benutzte die Pause, um sich davonzuschleichen. Ich hielt immer noch den Kopf gebeugt und überlegte mir, welche Strafe ich diesmal bekommen würde.

Ich wusste, dass meine Mutter mir nicht böse war. Aber sie sagte zu meinem Vater manchmal, Strafen hätten einen erzieherischen Effekt. Und erzogen musste ich werden. Mein Vater nickte bei solchen Erklärungen und schaute drein, als sei er ganz einverstanden. Wenn er sie anschaut, hält das meine Mutter nicht lange aus. Sie explodiert dann vor Lachen.

Ich bemühte mich, es jetzt wie mein Vater zu machen, aber ich konnte es nicht so gut wie er. Meine Mutter war nicht zum Lachen zu bringen.

„Reiten ist ja ganz schön!“ sagte sie, „aber wir müssen doch im Winter etwas zu essen haben.“

„Es ist nichts verloren“, entgegnete ich, „wir essen die Hennen auf, die die Nudeln gefressen haben.“

Meine Mutter lachte, fuhr mir über den Kopf und blickte weg, damit man ihre Augen nicht sah. Aber auch, ohne dass ich darauf schaute, wusste ich, dass sie Tränen in den Augen hatte.

„Madame!“ sagte ich, um sie zu erheitern, „ich werde es schon lernen, auf­zupassen. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.“

Meine Mutter lachte und ging ins Haus.

Ich sprang wieder auf mein Pferd. Diesmal ritt ich zu den Windmühlen.

Ich wollte gerade aufbrechen, als Gurko, Toni und Atanas, der Verrückte, kamen. Auch sie sprangen auf ihre Pferde, und wir ritten gemeinsam zu den Windmühlen. Wir hatten gerade den „Don Quichotte“ gelesen.

Unsere Schilde glänzten in der Sonne. Die Pferde wieherten und flogen über staubige Wege. Unsere Ritterspeere ritzten die Luft.

Wir waren sehr zornig auf die bösen Riesen ob all ihres Unrechts, dass die Guten leiden mussten und die Schlechten triumphieren konnten, dass man­che viel und andere nichts besitzen, dass die Gerechtigkeit mit Ketten in der Höhle gefesselt sitzt, während die Ungerechtigkeit durch die Welt geht, es viele Menschen mit traurigen Augen und Mädchen gibt, auf denen ein Zauber liegt, wie auf Dulcinea.

So ritten wir Ende August durch die Felder. Unsere Pferde galoppierten gegen die Riesen. Die winkten bedrohlich mit ihren Flügeln und wuchsen größer und größer vor uns auf. Aber wir zuckten nicht zurück. Unsere Herzen waren voller Zorn und Empörung. Wir waren jung, unsere Augen glühten, und unsere Hände umklammerten die Lanzen.

August kommt wieder und wieder. Ich schaue auf die Felder. Sie sind leer. Wir sind älter geworden, haben geheiratet, wurden gescheiter. Einige von uns sind wirklich bedeutende Leute geworden, obwohl es für sie keine hausgemachten Nudeln mehr gibt, auf die sie aufpassen müssen.

Nur Atanas, der Verrückte, der ewig jung ist und nie alt wird, dessen Augen immer noch glänzen wie die eines Jungen, reitet immer noch. Er kommt an uns vorüber und ruft uns zu: „Vorwärts, Madame, Sie sind frei!“

Wir lachen nur, aber er reitet weiter, in die Felder, zu den einsamen Wind­mühlen, denn einsam sind sie, ohne uns.

Übersetzt von Reni Kitanova und Frederik Hetmann