Philosophische Etüde

Der Löwe ist ungefähr hundert Meter von mir entfernt, das ist gar nicht gefährlich. Schließlich ist der Löwe auch ein Geschöpf der Natur, ein Teil der allgemeinen Harmonie.

Der Mensch muss Philosoph sein. Es hat kei­nen Sinn, sich mit dem Löwen zu zanken. Er ist hundert Meter entfernt, er tut mir absolut nichts. Er geht einfach weiter.

Er kommt hierher? Ja ja, ein majestätischer Anblick – mich schaudert. Ein anderer an meiner Stelle würde jetzt vielleicht schießen wie verrückt. Aber ich bin Philosoph. Warum sollen wir uns zanken – er tut mir doch nichts. Er ist eine etwas größere Katze, nichts sonst.

Seine Augen – was für ein schönes Grün! Und was für Gedanken stecken hinter diesen Augen! Was denkt sich so ein Löwe eigentlich?

Der Mensch soll sich philosophisch verhalten. Manchmal messen wir den Dingen viel zu viel Bedeutung zu.

Wenn du schreist – nützt das jeman­dem?

Wenn ein anderer an meiner Stelle wäre, der schießen würde: auf zwan­zig Meter würde er vielleicht ins Ziel treffen.

Und wenn er nicht trifft?

Und warum soll ich mich in überflüssige Streitereien mit dem Löwen einlassen? Er ist doch auch ein Kind der Natur, wie ein Marienkäferchen sozusagen. Dem Menschen steht er sogar viel näher. Wir sind doch alle beide Säugetiere.

Der Mensch muss Philosoph sein, die Dinge im Zusammenhang sehen – warum soll er sich mit den Leuten zanken. Schweigen ist besser.

Der Löwe ist nur noch zwei Schritt entfernt. Ein ziemlich schrecklicher Löwe.

Aber man sagt sich, der wird dir schon nichts tun, wenn du ihn nicht reizt. Besonders wenn er satt ist.

Das ist also ein Löwe. Sein Blick ist aus der Nähe sehr vielsagend, wie bei einem Menschen.

Er ist nun mal der stärkere.

Aber der Mensch ist klüger, er ist ein Philosoph.

Mein Gedanke ist…

Übersetzt von Newena Wendt-Jontschewa